Ich hab auf Youtube gesehen, daß... (Part II )

...viele ihr Modell immer komplett grundieren. (Zitat Ende)

 

Natürlicher Reflex des einzelhandelnden Verfassers: yippie ya yeah, $$$!

 

Nachdem mir jedoch jeglicher monetäre Aspekt völlig gleichgültig ist und ich bekanntermaßen nur arbeite, damit ich am Abend müde bin, können wir das Thema an dieser Stelle ganz neutral technisch und funktional bewerten. Und es gibt ja - und damit Willkommen, werte Modellbaugemeinde - tatsächlich gute Gründe für eine Grundierung, so da z. B. wären:

 

1. Haftungsverbesserung

Grundsätzlich sind unsere klassischen Bausätze aufgrund des Materials recht unkompliziert. Die meisten der verwendeten Polystyrole weisen u. a. eine hohe Oberflächenenergie auf, daher ist bei gut gereinigten Flächen i. d. R. auch ohne Grundierung keine Enthaftung zu befürchten. Zumal die Modellbau-Lacksysteme ja auch genau auf dieses Grundmaterial abgestimmt sind. Problematisch kann es bei in die Jahre gekommenen Bausätzen werden, oder generell bei Untergrundmaterialien mit problematischen Haftungseigenschaften wie z. B. Resin, PE-Teilen und - neuerdings - manch 3D-gedruckten Teilen aus Harzen (SLA) bzw. Filamenten (FDM) schwankender Qualität. Auch spätere Weathering-Techniken beanspruchen die Haftung (Stichwort "Chipping"). In diesen Fällen empfiehlt sich oft eine Grundierung, wobei erfahrungsgemäß wasserbasierende Systeme bzgl. Haftungseigenschaften zu denen auf Basis eines organischen Lösemittels merklich abfallen. Letztere lösen den Grundwerkstoff ganz leicht (und nicht sichtbar) an und sorgen so für eine Art "Mikro-Verklammerung".

Vorsicht ist allerdings geboten, wenn man extrem wirksame Grundierungen mit tendentiell haftungsschwächeren Aufbau-Lackierungen kombiniert. In diesem Fall verlegt man die Trennebene einfach nur eine Stufe nach oben und die Aufbaulackierung lässt sich von einer Kante anfangend in Streifen von der Grundierung ziehen. Ohne hier zu sehr ins Detail gehen zu wollen / können: dieser Effekt lässt sich z. B. bei den sehr gut haftenden und sehr glatt auftrocknenden Spray-Grundierungen japanischer Provenienz beobachten, wenn man darüber z. B. mit manchen stark wässrigen Materialien von der iberischen Halbinsel oder aus dem norddeutschen Tiefland arbeitet...

 

2. Egalisieren von Oberflächenunruhen, Schleifriefen etc.

Hier ist nicht die Haftung der Lackierung die Zielsetzung, sondern das spätere Finish. Aufgrund der Fortschritte im Formenbau sind die meisten der modernen Bausätze bereits werkzeugfallend sehr glatt. Aber auch hier gibt es manchmal Ausreißer bzw. entstehen Oberflächenunruhen durch die Bearbeitung. Und gerade mit der Airbrush verarbeitet man ja z. T. stark verdünnte Farben mit entsprechend wenig Festkörper-Anteil. Sieht beim Lackieren meist noch ganz gut aus, nach dem Trocknen kommen dann aber z. B. die Schleifriefen wieder durch, weil sich die Stärke der Lackschicht durch das Entweichen des Lösemittels gerne mal halbiert. Ganz schlimm bei Metall-Effekt-Farben, weil sich hier der Effektgeber meist auch noch an z. B. Schleifriefen orientiert und diese dann so richtig heftig sichtbar werden. Eine Grundierung schafft hier Abhilfe. Wenn man keine der o. a. Haftungsanforderungen hat, auch gerne auf Wasserbasis (außer bei späterer Lackierung mit stark lösemittelhaltigen Metallic-Farben (AlClad etc.). Wichtig ist, daß der Festkörpergehalt hoch genug ist und die Grundierung nicht zu stark verdünnt wird. Wenn die finale Lackierung nicht mit sehr hellen Farben erfolgt, empfehle ich eine möglichst dunkle (idealerweise schwarze) Grundierung. Hintergrund: schwarz ist eine gnadenlose Kontrollfarbe und man sieht jeden noch so kleinen Oberflächendefekt.

 

3. Farbtonangleichung, Black-Basing etc.

Hellgraues Polystyrol, dunkelgraues Resin-Zubehör und messingfarbige PE-Teile in Kombination mit stark lasierender Lackierung bei z. B. der Darstellung von Verwitterungseffekten kann mitunter zum Durchscheinen des Untergrunds führen. Hier empfiehlt sich ebenfalls eine Grundierung, farblich angepasst an die spätere Lackierung (weiß, grau, sandfarben etc.). Beim Black-Basing macht man sich hierüber zusätzlich den dunklen Untergrund zunutze um Schattierungseffekte zu Erzeugen. Die bekannten Metallic-Farben benötigen eine schwarze Grundierung, damit sich die Farbwirkung auch bei niedrigen Schichtstärken einstellt, zudem (siehe oben) erkennt man etwaige Oberflächendefekte rechtzeitig vor der finalen Lackierung.

 

4. Chipping ("Abplatz-Effekte")

Hier kann man genau so vorgehen, wie der Abnutzungseffekt auch in der Realität entsteht. Eine Farbschicht enthaftet sich von der anderen. Dafür müssen dann aber Grundierung und finale Farbgebung aufeinander abgestimmt sein, um die richtige Trennebene sicherzustellen. Will sagen: wasserbasierende Grundierung und darüber Enamel-Farbe wird dazu führen, das sich beim "Chippen" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Grundierung vom Kunststoff löst und nicht die Farbe von der Grundierung. Somit im Untergrund für sehr gute Haftung sorgen, idealerweise durch Materialien auf Basis eines organischen Lösemittels und darauf dann - nach guter Durchtrocknung - eines der bekannten Chipping-Fluids. Für den Untergrund bieten sich abhängig von Größe und Geometrie auch z. B. Sprays aus der Dose an, die es in zig unterschiedlichen Farbtönen gibt, da muss es nicht zwangsläufig eine Grundierung sein.  

 

Fazit: vorstehende Auflistung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, entspringt den erweiterten Erfahrungen des Verfasser und stellt natürlich kein Naturgesetz dar. Es gibt gute Gründe, die für Grundierungen sprechen, manche dagegen. Und wenn man partout grundieren möchte, siehe Einleitung.

 

Einen allgemeinen Gedanken möchte ich aber auf jeden Fall noch loswerden: jeder Arbeitsschritt beim Lackieren ist eine potentielle Fehlerquelle. Und nichts ist schlimmer, als sich z. B. einen Bausatz beim Einsatz einer Grundierung zu versauen, die man - bei Lichte betrachtet - gar nicht gebraucht hätte. Ganz losgelöst vom monetären Effekt und dem Verbrauch von Ressourcen.

 

Happy Painting

 

Christoph Donnert

 

Kommentare

Sei der erste der einen Kommentar schreibt....

Schreibe einen Kommentar
* Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Wir benutzen Cookies nur für interne Zwecke um den Webshop zu verbessern. Ist das in Ordnung? Ja Nein Für weitere Informationen beachten Sie bitte unsere Datenschutzerklärung. »